Kos­ten­lo­ser Pro­be­test: Feu­er und Eis — ei­ne his­to­ri­sche Har­mo­nie der Ge­gen­sät­ze

Als das Feuer noch kein Dauerbrenner war

Hörverstehen (HV)

Worterklärungen

Folgende Wörter werden bei der tatsächlichen Prüfung vor dem Vortrag an die Tafel geschrieben bzw. erläutert:

  • die Zäsur = der Einschnitt
  • Prometheus, ein Titan
  • härten = hart machen
  • die Horde = die Menschengruppe
  • die Beute = erjagte Tiere

(Wir weisen Sie darauf hin, dass Ihnen eine Transkription des Hörtextes in der tatsächlichen Prüfung nicht zur Verfügung steht. Zu Übungszwecken bieten wir Ihnen hier eine Umschrift an.)

Der Besitz des Feuers gehört heute zu den fraglosen Dingen unseres Alltagslebens. Streichhölzer, ein Feuerzeug oder der Gasherd in der Küche erzeugen offene Flammen, auch am Kaminfeuer im Winter oder am Lagerfeuer im Sommer – überall erfahren wir die wohltuende Wirkung des Feuers: Es wärmt, liefert Energie für die Nahrungsmittelzubereitung und stellt Gemeinschaft her. Doch wer ungewolltes Feuer schon einmal erlebt hat, der kennt die gewaltige Zerstörungskraft, die diesem Element innewohnt – etwa bei einem Wohnungsbrand oder bei Waldbränden, bei denen Menschen sterben und ganze Landstriche zerstört werden können.

So kann man sich leicht vorstellen, wie unsere Vorfahren, die das Feuer noch nicht kannten, in Angst und Schrecken versetzt wurden, als sie, etwa bei einem Blitzschlag, mit dem Phänomen Feuer konfrontiert wurden. Wie vom Feuer bedrohte Tiere, die in Panik die Flucht ergreifen, so haben bestimmt auch die ersten Menschen angesichts des Feuers reagiert. Mythen aus allen Völkern erzählen von der geheimnisvollen Macht, die vom Feuer ausgeht. Im Mythos von Prometheus bildet das Feuer das zentrale Motiv. Prometheus, dessen Name der „Vorausdenkende“ bedeutet, brachte den Menschen das von den Göttern geraubte Feuer. Diese Tat erzürnte den Göttervater Zeus so sehr, dass er Prometheus an einen Felsen im Kaukasus kettete und jeden Tag einen Adler schickte, der Prometheus’ Leber fraß. Zwar wuchs die Leber immer wieder nach, da Prometheus ein Titan, also unsterblich war – doch die Strafe war schwer. Welches Geheimnis besitzt denn das Feuer, dass dessen Raub so schwer bestraft werden musste? Warum denn war Zeus so zornig, als der Mensch in den Besitz des Feuers gelangt war? Welche Macht verleiht das Feuer dem Menschen?

Paradoxerweise rührt die Bedeutung des Feuers für den Menschen gerade von seinem ambivalenten Charakter, von seinen doppelgesichtigen Eigenschaften her: dass es wärmt und verbrennt, dass es leuchtet und blendet, nährt und vernichtet. Die Erkenntnis unserer Ahnen, dass das Feuer nicht nur eine destruktive, sondern auch eine konstruktive Kraft besitzt, ist eine evolutionsgeschichtliche Zäsur. Zwar wissen wir nicht genau, wie die ersten Menschen die nützlichen Eigenschaften des Feuers entdeckten. Wir können aber vermuten, dass die Geschichte des Menschen mit dem Feuer nicht linear verlief. Wahrscheinlich haben Menschengruppen unabhängig voneinander an verschiedenen Orten auf der Erde die gleiche Entdeckung gemacht, und möglicherweise ist das Feuer auch wieder für längere Zeit „ausgegangen“. Vielleicht wusste man anfangs noch nicht, dass man das Feuer gut hüten muss; vielleicht wusste man auch noch nichts von der systematischen Erzeugung von Feuer durch Feuersteine und war deshalb auf natürliches Feuer angewiesen. Man musste dann warten, bis wieder einmal ein Blitz einschlug und ein Gewächs zum Brennen brachte – erst dann hatte man wieder Feuer.

Welche Vorteile brachte das Feuer den Menschen? Sie entdeckten, dass sie ihre eigene Angst gegen ihre bedrohliche Umwelt wenden konnten: Feuer schützte die Menschen vor bedrohlichen kleineren Tieren, denn diese hielten sich von Menschengruppen fern, die sich um ein Feuer versammelt hatten. Das Feuer nützte den urzeitlichen Menschen aber auch bei der Jagd. Denn größere Tiere konnten besser erjagt werden, wenn man über Feuer als Angriffswaffe verfügte. Mit dem Feuer konnte der Mensch also die Herrschaft über andere Lebewesen ausüben und sich so vor feindlichen Tieren schützen. Darüber hinaus wärmte das Feuer die Menschen, so dass sie es wagen konnten, in kältere Gebiete auszuwandern und sich neue Siedlungsgebiete zu suchen.  Feuer erhellte auch die Nacht unserer Vorfahren. So ließ sich das nächtliche Verweilen am Feuer ausdehnen und Arbeiten, für die der Tag zu kurz war, konnten dabei noch verrichtet werden. Die Arbeitszeit des Menschen wurde also verlängert. Doch auch die Werkzeug- und Waffenherstellung profitierte vom Feuer. Denn diese Gegenstände konnte man im Feuer härten, und dadurch wurde ihr Einsatz effektiver und ihre beabsichtigte Wirkung größer. Der Gebrauch des Feuers versetzte den steinzeitlichen Menschen also in einen Zustand immer größerer Unabhängigkeit von der Umwelt.

Über eine zentrale Innovation, die das Leben unserer Ahnen radikal verwandelte, ist noch zu sprechen: über das Kochen und Braten. Überaus komplexe Prozesse wurden durch diese neuen Kulturtechniken in Gang gesetzt – Prozesse, die der Menschheit ungeheuren Fortschritt brachten. Gekochte Nahrung spart nämlich Zeit und Energie. Gekochte Nahrung kann schneller gekaut und besser verdaut werden als Rohkost. Das heißt, dass nun auch harte Nahrungsmittel, etwa zähes Fleisch oder harte Früchte, verzehrt werden konnten. Dadurch wurde der Speiseplan umfangreicher und differenzierter. Die größere und bessere Nahrungsmenge stärkte dann nicht nur den Körper, ihr Energiereichtum beschleunigte auch die Gehirnentwicklung. – Vor allem aber ist gekochte Nahrung konservierbar. Während vor der Nutzung des Feuers nur die Nahrung zur Verfügung stand, die man unmittelbar verzehren konnte, so ließ sich gekochte, gebratene oder geräucherte Nahrung lange Zeit aufbewahren. Und hatte die Horde einmal keine Beute gemacht, so brauchte sie nun nicht gleich zu verhungern: Mit genügend Vorräten konnte das Überleben der Horde gesichert werden, auch wenn die Jagd einmal erfolglos blieb – was ja oft genug der Fall gewesen sein dürfte, z.B. wenn die Jäger einmal zu wenig Beutetiere fanden. Mit wenig Beute kamen die Jäger bestimmt oft auch in der kalten Jahreszeit zurück zur Horde, wenn sie durch Krankheit geschwächt waren und deshalb nicht ausreichend Kraft zur Jagd hatten. Vorräte konnten dann den Mangel ausgleichen. Und schließlich – auch dies trug zur Verbesserung der Ernährungslage unserer Vorfahren bei: Rohes Fleisch ließ sich durch Erhitzen wieder genießbar machen, wenn es etwa durch Keime verunreinigt war.  

Neben dieser weitreichenden existentiellen Bedeutung des Feuers für den Menschen lässt sich auch eine soziale Wirkungsweise vermuten, die bis in unsere Zeit hinein Gültigkeit hat. Das Feuer nämlich, so meinen einige Forscher, habe möglicherweise die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau etabliert. Während es zur Aufgabe des Mannes geworden sei, als Jäger die Nahrungsressourcen im Rohzustand herbeizuschaffen, habe die Pflicht der Frau darin bestanden, am Herdfeuer zurückzubleiben, die Glut zu hüten und dem zurückkehrenden Jäger die warme, leicht verdauliche Mahlzeit zu kochen. Und vielleicht entwickelten die Menschen, als sie so zusammen am Feuer saßen und die Beute verzehrten, sogar die Sprache. Prometheus hat weit vorausgedacht.